AG München – Az.: 142 C 10101/20 – Urteil vom 29.03.2021
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 83,54 € zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 82 % und die Beklagte 18 % zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 369,80 € festgesetzt.
Gründe
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
I.
Danach ist die zulässige Klage hinsichtlich der Hauptforderung unbegründet. Ein Anspruch auf Erstattung von 369,80 € für den Erwerb von zwei „Tickets“ für die Veranstaltung „S. t.“ vom 03.04.2020 samt Nebenleistungen besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt.
1. Bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Veranstaltungsvertrag handelt es sich um einen gemischttypischen Vertrag, der in der Regel als Werkvertrag mit mietrechtlichem Einschlag zu bewerten ist (vgl. Palandt-Sprau, 79. Aufl., v. § 631 BGB Rn. 31). Die hier vom Kläger „dazugebuchten“ Leistungen (Getränkegutschein und Menüs) erweitern den Vertrag zusätzlich um dienst- und kaufvertragliche Elemente der Bewirtung.
2. Die Durchführung der Veranstaltung ist der Beklagten aufgrund des durch Rechtsverordnung angeordneten Veranstaltungsverbots nachträglich unmöglich geworden. Der Kläger hat demnach grundsätzlich einen Anspruch auf Erstattung des Eintrittspreises (§ 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1, Abs. 4 BGB i.V.m. § 346 Abs. 1 BGB). Die Beklagte ist jedoch berechtigt, dem Kläger anstelle einer Erstattung des Eintrittspreises oder sonstigen Entgelts einen Gutschein zu übergeben gem. Art. 240 § 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB.
a. Im Hinblick auf den hier vorliegenden gemischttypischen Vertrag verhält sich die sog. „Gutscheinlösung“ des Art. 240 § 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB nicht dazu, inwieweit zusätzlich gesondert berechnete Entgelte (hier: 30,00 € Getränkegutschein, 91,80 € Menü) der „Erstattung des Eintrittspreises oder sonstigen Entgelts“ unterfallen sollen. Soweit ersichtlich dürfte sich die vom Gesetzgeber gewählte Bezeichnung des „sonstigen Entgelts“ eher auf die ebensowenig näher spezifizierte Bezeichnung der „sonstigen Teilnahmeberechtigung“ beziehen. Es ist somit auf die allgemeinen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur rechtlichen Behandlung der gemischten Verträge zurückzugreifen. Maßgeblich ist der mutmaßliche Parteiwille, für den die besonderen Umstände des Einzelfalls, die Interessenlage der Parteien und Sinn und Zweck der vertraglichen Vereinbarungen Anhaltspunkte geben können. Danach sind zwar grundsätzlich auch für typische Verträge mit andersartigen Nebenleistungen für jede einzelne Leistung die Vorschriften des entsprechenden Vertragsteils heranzuziehen, bei Kollision der Vorschriften ist jedoch das Recht des Vertragstyps anzuwenden, der den rechtlichen oder wirtschaftlichen Schwerpunkt bildet (vgl. Palandt-Grüneberg, 79. Aufl., v. § 311 BGB Rn. 25 f. m.w.N.). Da die „Gutscheinlösung“ für den gesetzlichen vorgesehenen Zeitraum bis 31.12.2021 davon ausgeht, dass die Beklagte über den von ihr zur Verfügung zu stellenden Gutschein die Durchführung der Veranstaltung weiterhin erbringen kann und soll, entspricht es den Interessen der Parteien, dass auch die im Rahmen der Veranstaltungen gebuchten Zusatzleistungen weiterhin Gültigkeit behalten sollen und ggf. in den Gutschein zu integrieren sind. Hierfür spricht auch die eher untergeordnete preisliche Rolle der Bewirtungsleistungen. Eine gesonderte (teilweise) Rückzahlungspflicht kommt daher nach Auffassung des Gerichts nicht in Betracht.
b. Bei der streitgegenständlichen Veranstaltung handelt es sich um eine Kulturveranstaltung i.S.d. § Art. 240 § 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB. Das Angebot der Beklagten ist gerichtsbekannt dadurch geprägt, dass – wie auch der Name des Angebots (“S t“) und die Firma der Beklagten bereits suggeriert – Künste u.a. aus den Bereichen Varieté, Theater und Akrobatik dargeboten werden und in diesem Rahmen auch eine – nicht zwingend wahrzunehmende – Bewirtung mit Speisen und Getränken stattfindet. Das nicht näher substantiierte Bestreiten des Klägers, der dieses Angebot selbst gebucht hat, ist weder nachvollziehbar noch in dieser Form berücksichtigungsfähig.
c. Unstreitig konnte die Veranstaltung aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden. Ebenso wurde die Eintrittskarte vor dem 8. März 2020 erworben.
d. Der Verweis auf einen Gutschein ist auch angesichts der persönlichen Lebensumstände des Klägers nicht unzumutbar i.S.d. Art. 240 § 5 Abs. 5 Nr. 1 EGBGB. Dies ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn ohne die Rückzahlung die Gefahr besteht, dass der eigene Lebensunterhalt des Gutscheininhabers oder der Lebensunterhalt seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht mehr in angemessener Weise und ohne Hilfe Dritter bestritten werden kann (MüKoBGB/Busche, 8. Aufl. 2021, EGBGB Art. 240 § 5 Rn. 38) Es reicht daher nicht aus, wenn die Eintrittskarte anlässlich eines persönlichen Ereignisses – wie hier dem Hochzeitstag – erworben wurde und später kein Interesse mehr am Besuch der Veranstaltung besteht. Das betrifft lediglich das subjektive Motiv für den Erwerb, aber keine objektiven Lebensumstände (BeckOGK/Preisser, 1.1.2021, EGBGB Art. 240 § 5 Rn. 34 m.w.N.). Im Übrigen wiederholt sich der Hochzeitstag des Klägers jährlich, so dass ihm auch der Besuch der Veranstaltung an einem künftigen Hochzeitstag möglich ist.
e. Unerheblich ist, ob die nach Art. 240 § 5 Abs. 4 EGBGB erforderlichen Angaben auf dem Gutschein fehlen oder nicht zureichend sind. Die Vorschrift schafft für den Fall der unmöglich geworden Leistung eine vorübergehende Ersetzungsbefugnis des Schuldners (vgl. hierzu Palandt-Grüneberg, 79. Aufl., § 262 BGB Rn. 6). Die Beklagte hat ihr Wahlrecht insofern ausgeübt, als sie sich bereits vorgerichtlich auf die Ausstellung eines Gutscheins berufen hat. Ob diese Leistung ordnungsgemäß erbracht wurde, ist hier bereits deshalb unerheblich, da der Kläger nicht Erfüllung dieser rechtlich zulässigen Ersatzleistung fordert. Im Übrigen würden fehlende Angaben ohnehin nicht zur Unwirksamkeit der Gutscheinübergabe und der damit verbundenen Gestaltungswirkung führen (MüKoBGB/Busche, 8. Aufl. 2021 Rn. 35, EGBGB Art. 240 § 5 Rn. 35).
f. Die Klage war daher insoweit als unbegründet abzuweisen. Es liegt auch kein Fall der „derzeitigen“ Unbegründetheit vor. Sollte der Kläger den Gutschein nicht bis zum gesetzlich vorgesehenen Zeitpunkt eingelöst haben, steht ihm gegen die Beklagte nicht erneut der Erstattungsanspruch nach § 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1, Abs. 4 BGB i.V.m. § 346 Abs. 1 BGB zu, sondern gem. Art. 240 § 5 Abs. 5 Nr. 2 EGBGB ein (neuer) Anspruch auf Auszahlung des Gutscheinwertes.
3. Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286 BGB. Die Beklagte befand sich nach Ablauf der vom Kläger im Schreiben vom 06.05.2020 gesetzten letzten Frist mit der Rückzahlung zum 16.05.2020 in Verzug, § 286 Abs. 1 S. 1 BGB. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine unverhältnismäßig kurze Fristsetzung nicht erkennbar, insbesondere da der Kläger die Beklagte bereits zuvor mehrmals kontaktiert hatte, um Erstattung zu verlangen. Die in angemessener Höhe geltend gemachten Kosten für die nach Verzugseintritt erfolgte Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Durchsetzung des Rückerstattungsanspruchs sind daher als adäquat kausaler Verzögerungsschaden erstattungsfähig. Die Einschaltung eines Rechtsanwalts war erforderlich und zweckdienlich. Die Beklagte hatte zu diesem Zeitpunkt ihre Ersetzungsbefugnis noch nicht wahrgenommen, so dass sich das Erstattungsverlangen jedenfalls als zu diesem Zeitpunkt berechtigt erwiesen hat.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 3 ZPO, 63 Abs. 2 S. 1 GKG.